Erfahrungsaustausch mit einem Krisenmanager

Erfahrungsaustausch mit einem Krisenmanager

Erfahrungsaustausch mit einem Krisenmanager

Auf dem Bild zu sehen: Frank Weise, Martin Gerster MdB, Jojo Riedel

„Ich komme hierher zu Ihnen nach Biberach, um zuzuhören, aufzunehmen“, eröffnete der ehemalige Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Frank-Jürgen Weise, sein Eingangsstatement vor rund 70 interessierten Teilnehmern im BankColleg der Volksbank Ulm-Biberach.

Zum Erfahrungsaustausch zwischen den Ehrenamtlichen und den Hauptamtlichen in der Flüchtlingsarbeit hatte der Biberacher SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Gerster eingeladen. Gerster bedankte sich vorneweg bei den Anwesenden, da alle einen großen Beitrag leisteten, dass die Geflüchteten im Landkreis angemessen versorgt, betreut und integriert werden. „Es ist außerordentlich, dass Sie alle hier versammelt sind, an einem Mittwochmorgen um zehn Uhr. Das zeigt mir, dass dieses Thema viel Gesprächsbedarf mit sich bringt“, so der 45-jährige Abgeordnete. Ziel sei es, dass Frank-Jürgen Weise den Anwesenden seine Perspektive als ehemaliger BAMF-Leiter näherbringen und gleichzeitig wertvolle Eindrücke von der Arbeit an der Basis gewinnen könne. Weise ist inzwischen Beauftragter des Bundesinnenministeriums für integriertes Flüchtlingsmanagement und berät in dieser Funktion weiterhin das BAMF.

Weise lieferte einen kurzen Abriss über die außergewöhnlichen Herausforderungen der vergangenen zwei Jahre, in denen sich sowohl die Bundesbehörden, die Kommunen aber eben auch die vielen Ehrenamtlichen konfrontiert sahen mit einer immensen Migrationsbewegung nach Europa und Deutschland. „Wir, die Bundesbehörden, waren auf so etwas nicht vorbereitet“, so Weise. „Ohne die Ehrenamtlichen wäre das nicht zu schaffen gewesen.“

Anschließend erteilte der Moderator, Radio-7-Redakteur Jojo Riedel, den Anwesenden das Wort, um ihre Probleme, Wünsche und Anregungen aufzunehmen.

Edeltraut Janz-Meyer vom Helferkreis Mittelbiberach wies auf die zentrale Rolle der Frauen für erfolgreiche Integration hin. Zwar existierten Programme gezielt für Frauen und Familien, jedoch gebe es in der Praxis zu viele – auch kulturell bedingte – Problematiken, bei denen sich die Ehrenamtlichen alleingelassen fühlten. Bürokratische Feinheiten, etwa die Schließungszeiten von KiTas in den Sommerferien hätten erhebliche Auswirkungen auf den Spracherwerb der Flüchtlingskinder. Mabel Engler, Vorsitzende des Kinderschutzbundes und Pflegemutter zweier unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, beklagte das Terminmanagement im BAMF, das Anhörungstermine bewusst überbuche, sodass Flüchtlinge und Begleitpersonen lange Strecken mehrmals umsonst auf sich nehmen müssten.

Frank-Jürgen Weise nahm diese Hinweise sehr ernst, begründete aber gerade behördliche Fehler mit der Ausnahmesituation in diesen zwei Jahren, die er inzwischen durch Personalaufstockung, bessere Ausbildung und Verfahren in geordnete Bahnen gelenkt sieht: „So etwas darf in der jetzigen Situation nicht mehr passieren. Wir sehen uns das gerne an.“

Obwohl das Thema Flüchtlingsarbeit erhebliches Konfliktpotenzial birgt – sei es zwischen den Ehrenamtlichen und den Behörden, zwischen Behörden und Politik oder mit Flüchtlingen unterschiedlicher Kulturen und Erwartungshaltungen – blieb die Stimmung sehr sachlich und konstruktiv. Meinungsverschiedenheit herrschte in der Frage, ob die Behörden grundsätzlich Integration behinderten, was Weise entschieden zurückwies. Die Behörden, seien es das BAMF oder die Arbeitsagenturen, setzten lediglich geltendes Recht um, so Weise, und spielte damit den Ball weiter an die Politik.

Ebenfalls unterschiedlicher Meinung blieb man bei der Frage, wie die Ehrenamtlichen mit Flüchtlingen umgehen sollten, deren Bleibeperspektive gegen Null tendiere, obwohl sie sich hochmotiviert in Arbeit oder Ausbildung befänden. Andere wiederum würden jahrelang geduldet, dürften aber nicht arbeiten oder Deutsch lernen, und könnten sich folglich kaum integrieren.

Weise riet dazu, Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive priorisiert in Arbeit zu bringen, was bei den Anwesenden Unverständnis hervorrief. „Wir befinden uns in einem Rechtsstaat. Wenn Sie aber den Menschen Frank Weise fragen, dann muss ich sagen: Es ist unerträglich.“

Der Gedanke, der im Raum stand: Wie geht man mit Menschen um, die nach Deutschland kommen, zwar ohne Recht auf einen Asyl- oder Flüchtlingsstatus und daher – Stand jetzt – mit geringer Bleibeperspektive, die jedoch hier arbeiten möchten und von der heimischen Wirtschaft händeringend gesucht werden. „Wir brauchen in Deutschland dringend ein Einwanderungsgesetz, um solche Statusfragen zu klären“, so Martin Gerster. „Wir können nicht Menschen, die hier lernen, arbeiten und sich integrieren wollen, erst jahrelang dulden und dann abschieben.“ Auch Weise stimmte zu, dass die Gesetzgebung an die Realitäten angepasst werden müsse „wenn man Einwanderungsland sein will“.

Martin Gerster MdB

Martin Gerster: "Wir brauchen in Deutschland dringend ein Einwanderungsgesetz, das solche Statusfragen klärt."

Menschen im Saal

Im Anschluss nutzten viele Anwesenden die Gelegenheit sich miteinander auszutauschen

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