In der Schwäbischen Zeitung Laupheim berichtete Christoph Dierking am 25. November:
Politischer Martini der SPD: Diese Strategien nennt der Beauftragte für jüdisches Leben gegen den Hass
Seit Mai 2018 ist er im Amt: Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, fand in seiner Rede im Laupheimer Schlosscafé deutliche Worte gegen Rechtsextremismus. (Foto: Wolfgang Heinzel)
Laupheim – Der Terrorakt gegen die jüdische Gemeinde in Halle im Oktober, der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke im Juni – die politisch motivierten Gewalttaten erfüllen die SPD in Laupheim mit großer Sorge. Deshalb hat sie das Thema bei ihrem traditionellen Politischen Martini am vergangenen Freitag im Schlosscafé in den Mittelpunkt gestellt. Hauptredner war Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Nicht nur er, auch seine Vorredner fanden deutliche Worte.

Klein betonte, dass jüdisches Leben schon seit Jahrhunderten ein selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft ist: „Wer jüdisches Leben angreift, greift auch unsere deutsche Identität an.“ Über die wachsende Zahl der antisemitischen Straftaten zeigte er sich besorgt: „Sie ist im Vergleich zum Vorjahr um ein Fünftel angestiegen“ – 2018 registrierte die Polizei laut Statistik 1800 Fälle, 2017 waren es 1504. Dabei hätten Rechtsextreme 90 Prozent der Taten begangen.

Normalität gefordert

„Unsere jüdischen Mitbürger sind nicht besser und nicht schlechter, sie sind ganz normale Mitglieder der Gesellschaft“, sagte Klein. „Wir brauchen wieder Normalität.“ Diese herzustellen sei nicht ausschließlich Aufgabe des Staates, sondern der gesamten Gesellschaft.

Für welche Strategien der Antisemitismusbeauftragte wirbt? Zunächst komme es darauf an, dass die Gesellschaft auch Taten unterhalb der Strafbarkeitsgrenze entgegentritt. „Dazu gehören antisemitische Witze und blöde Gesten.“ Wer etwas mitbekomme, auch im privaten und beruflichen Rahmen, müsse sich distanzieren. Außerdem sei entscheidend, dass Betreiber von Plattformen und Sozialen Netzwerken im Internet die Daten und IP-Adressen von Hetzern herausgeben. „Es ist ein Skandal, dass Täter nach politischen Attentaten im Netz gefeiert werden“, sagte Klein.

Wesentlich im Kampf gegen den Antisemitismus sei auch eine bessere Schulbildung. „Das Thema erschöpft sich beim Thema Holocaust. Was wir brauchen, sind mehr Einblicke in jüdisches Leben.“ Und vor allem müsse der Staat Lehrerinnen und Lehrer in die Lage versetzen, mit Rassismus und Antisemitismus an Schulen umzugehen. „Das sollte in der Ausbildung zum Standard gehören“, forderte Klein. Schulen müssten antisemitische Vorfälle melden – in Baden-Württemberg gibt es diese Verpflichtung bereits. „Das muss auch bundesweit gelten.“

Kritik an der AfD

„Hass, Gewalt und Hetze nehmen immer mehr zu“, stellte auch Martin Gerster fest, Bundestagsabgeordneter und Kreisvorsitzender der SPD in Biberach. Das friedliche Zusammenleben sei bedroht – und zwar in einem Ausmaß, das eigentlich jeden aufrütteln müsse. Die Demokratie und der Rechtsstaat stünden auf dem Spiel. Scharfe Kritik richtete der Politiker an die AfD: „Sie ist der geistige Nährboden für das, was wir aktuell in der Gesellschaft erfahren.“

Von „alarmierenden Anzeichen“ sprach Oberbürgermeister Gerold Rechle. Mancherorts würden sich jüdische Mitbürger nicht trauen, Kippas in der Öffentlichkeit zu tragen. „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät“, zitierte Rechle den Schriftsteller Erich Kästner. Er appellierte, gegen Antisemitismus Haltung zu zeigen, und betonte: „Der Hass hat einst auch gegen Laupheimer Juden gewütet.“

Wie sich dieser Hass in der Stadt auswirkte, in der Mitte des 19. Jahrhunderts die größte jüdische Gemeinde in Württemberg lebte, daran erinnerte Michael Niemetz, Leiter des Museums zur Geschichte von Christen und Juden in Laupheim. Den etwa 50 Zuhörern im Schlosscafé berichtete er von dem Schicksal des Schriftstellers Siegfried Einstein, der als Schüler gehänselt, mit Steinen beworfen und an der Tafel gedemütigt wurde – und das nur, weil er Jude war. „Es handelt sich um eine Tragik, die wir immer wieder aufarbeiten müssen.“

Von der Art und Weise, wie das Laupheimer Museum die Geschichte aufarbeitet, zeigte sich Felix Klein beeindruckt. Vor dem Beginn des Politischen Martinis hatte er einen Rundgang durch das Museum gemacht. „Der Ansatz, nicht nur auf jüdische Menschen, sondern auch auf ihre Interaktion mit Christen zu schauen, hat mir besonders gefallen. Das ist in Deutschland einmalig.“ Kleins Amt hat die Bundesregierung Anfang vergangenen Jahres geschaffen – der Jurist und Diplomat ist der Erste, der es bekleidet.

Zuschauer diskutieren mit

Nach den Vorträgen reichte Robert Kreklau, Ortsvereinsvorsitzender der SPD Laupheim, das Mikrofon durch die Reihen. „Für mich ist die AfD nicht nur Nährboden des Hasses, sondern auch Zündschnur“, sagte Frank Hevert aus Laupheim. Außerdem dürfe die Debatte über Antisemitismus nicht sachliche Kritik an der israelischen Siedlungspolitik unterbinden.

Elise Allgaier, Lehrerin aus Biberach, bekräftigte die Forderung nach mehr Geschichtsunterricht: Viele Neuntklässler würden kaum etwas über jüdisches Leben wissen. „Ich muss in einem Schuljahr die Zeit von der Industrialisierung bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs durchnehmen“, erklärte Allgaier. „Da sind zwei Unterrichtsstunden pro Woche einfach zu wenig.“