Mehrheitliches Bauchweh bei den Genossen – Kreis-SPD diskutiert in der Fischbacher Festhalle unter dem Motto „Jede Stimme zählt“
In der Schwäbischen Zeitung Friedrichshafen berichtete Brigitte Geiselhart am 26. Februar:
„GroKo“ oder „NoGroKo“ diskutierte die Kreis-SPD in der Fischbacher Festhalle. Viele engagierte Jusos redeten mit, die sich nachher unter anderem mit dem Bundestagsabgeordneten Martin Gerster aus Biberach (l.) und dem Juso-Landesvorsitzenden Leon Hahn (r.) fotografieren ließen. Foto: Dieter Stauber.
Friedrichshafen – Die Gretchenfrage ist gestellt. Noch bis zum 2. März haben alle SPD-Mitglieder bundesweit die Chance, ihr Votum darüber abzugeben, wie sie es mit der „GroKo“ halten. „Deine Stimme zählt“ – unter diesem Motto hat der SPD-Kreisverband am vergangenen Samstag in die Festhalle Fischbach eingeladen. Auch der Bundestagsabgeordnete Martin Gerster war mit von der Partie. Um es gleich vorwegzunehmen: Ein geschlossenes Meinungsbild war an diesem diskussionsfreudigen Nachmittag nicht auszumachen. Mehrheitliches Bauchweh allerdings schon.
Er sei selbst durchaus auch in einer „differenzierten Stimmung“, räumt der SPD-Kreisvorsitzende Dieter Stauber ein. Er gehe aber davon aus, dass mit einer mehrheitlichen Zustimmung zu rechnen sei. „Weil unsere Mitglieder erkennen, dass durch die Große Koalition die Situation der Menschen im Alltag verbessert werden kann – und weil es gelungen ist, im Koalitionsvertrag sozialdemokratische Themen zu verankern.“ Dass das Leben aus Kompromissen bestehe, diese Einsicht wirft Norbert Zeller, ehemaliger, langjähriger Landtagsabgeordneter und jetziger Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion, in die Waagschale.
Am Wahlabend hatte er sich noch wie viele andere Genossen dafür ausgesprochen, dass es für seine Partei besser sei, den Weg in die Opposition anzutreten. „Ich stehe voll hinter dem Koalitionsvertrag. Man kann über Martin Schulz sagen was man will. Aber er hat gut verhandelt“, sagt er heute und verweist darauf, dass man gerade auch in der Bildungspolitik eigene Interessen habe durchsetzen können, zum Beispiel mit Blick auf die Gleichstellung von allgemeiner und beruflicher Bildung. Auch aus kommunaler Sicht sieht er „viele positive Punkte“, wie etwa den Wohnungsbau oder die Förderung von Familien.
Eher „Neugierde“ statt „Zähneknirschen“ empfindet Raymund Feger aus Überlingen. Erst vor drei Wochen sei er in die SPD eingetreten, auch aus dem Interesse heraus, eventuell mitgestalten zu können. Derzeit sei er „tendenziell“ aber gegen die „GroKo“, betont er. Dass Martin Schulz der SPD geschadet habe, aus dieser Meinung macht er in jedem Fall keinen Hehl. „Man sollte zu seinen Aussagen stehen im Sinne der Wahrhaftigkeit“, sagt Raymund Feger. „Ein Stück weit Verständnis für Martin Schulz“ empfindet die 17-jährige Hilde Mayer aus Friedrichshafen. Die Situation sei eben schwierig gewesen, meint sie. Sie befinde sich selbst aber immer noch im „Abwägungsprozess“ und sei noch nicht endgültig sicher, wie sie letztlich abstimmen werde.
Ein Blick zurück
Von „bewegten Zeiten in der Politik“ spricht derweil Martin Gerster am Rednerpult und lässt noch einmal die gut fünf Monate, die seit dem für die SPD enttäuschenden Wahlergebnis vergangen sind, Revue passieren. Mit der Ressortverteilung sei aber jetzt „ein großer Coup“ gelungen. „Ich sehe Deutschland als Motor in Europa. Wir brauchen eine stabile Regierung und keine Minderheitsregierung“, so sein klares Credo für die Große Koalition.
„Ich bin ganz entschieden gegen die ,GroKo‘ – weil die SPD nur verlieren kann und weil vor allem die Menschen nur verlieren“, sagt hingegen Stadträtin Christine Heimpel. „Die halben Sachen des Koalitionsvertrages und die Fragen, die gar nicht vorangetrieben wurden, werden dafür sorgen, dass wir in vier Jahren vor einem Trümmerhaufen stehen.“ Gerade die Themen „Digitalisierung“, „Pflege“ und „Bildung“ machten dies deutlich, so Christine Heimpel.
Seine Stimme bereits abgegeben hat der 17-jährige Jan Sternagel. „Ich habe dagegen abgestimmt – aus Protest“, bekennt er freimütig. „Wir sind nur dann eine starke Partei, wenn wir zu unserer Meinung stehen und nicht die Fahne in den Wind halten wie Martin Schulz.“
Für die Große Koalition hat sich dagegen Valentin Glöckler entschieden. „Wir haben lange dafür gekämpft und wichtige Ministerien bekommen. Wir können die SPD nur dann stärken, wenn wir uns nicht aus der Verantwortung ziehen“, betont der 19-jährige Häfler. Zu den bisher Unentschiedenen gehört Anke Klein aus Stockach. Sie ist seit 34 Jahren SPD-Mitglied und enttäuscht von den Koalitionsverhandlungen. „Das Kindergeld soll erhöht werden, aber für Hartz-IV-Empfänger gibt’s nichts“, moniert sie und nennt als Schwachstellen die Bereiche „Pflege“, „Familiennachzug“ und „Kinderarmut“.