"Ein Preu­ße, der in Bi­berach be­liebt war"

"Ein Preu­ße, der in Bi­berach be­liebt war"

“Ein Preu­ße, der in Bi­berach be­liebt war”

Fritz Erler ist Thema im Biberacher Landratsamt - Franz Müntefering zu Gast

Foto: Oliver Hofmann.
Für die Schwäbische Zeitung im Landkreis Biberach berichtete Manfred Waldeck am 7. Juni 2017:

Biberach - Fritz Erler hat die Ausrichtung der SPD nach dem zweiten Weltkrieg entscheidend mitgestaltet und er hat auch die neu entstandene Demokratie in der Bundesrepublik mit geprägt. Bevor er aber in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, war er für kurze Zeit Landrat in Biberach. 50 Jahre nach seinem Tod hatte die Friedrich-Ebert-Stiftung deshalb am Freitagabend zu einer Gedenkveranstaltung ins Biberacher Landratsamt eingeladen.

Anja Dargatz, die Leiterin des Fritz-Erler-Forums in Stuttgart, schilderte in ihrer Begrüßung kurz den Lebensweg von Fritz Erler. 1913 in Berlin geboren, engagierte er sich bereits in der Sozialistischen Arbeiterjugend und opponierte später auch gegen den Nationalsozialismus. 1938 wurde er deshalb von der Gestapo verhaftet und verurteilt. 1945, im letzten Kriegsjahr, gelang ihm auf dem sogenannten Todesmarsch zum KZ Dachau die Flucht. Bis zum Ende des Krieges konnte er sich in Oberschwaben verstecken. Die französische Militärregierung bestellte ihn dann zum Landrat in Biberach. Weil er deutschen Deserteuren bei der Flucht aus der Fremdenlegion half, wurde er schon bald darauf wieder verhaftet. Nach der Entlassung aus der Haft war er Mitglied des Biberacher Kreistags, Landrat in Tuttlingen und zog schließlich 1949 als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein. Als Mitglied des Parteivorstands der SPD und späterer Fraktionsvorsitzender hat er wesentliche Weichen gestellt, die auch heute noch in der Politik wirken.

Der heutige Biberacher Landrat Heiko Schmid bezeichnete Fritz Erler als einen "Preußen, der in Biberach beliebt war" und der auch Biberach geliebt hat, denn er besuchte die Stadt später immer wieder einmal als Gast.

Den Festvortrag hielt Vizekanzler a. D. Franz Müntefering. Er freute sich besonders, Wolfgang Erler, den jüngsten Sohn von Fritz Erler, mit Familie im Publikum begrüßen zu können. Müntefering erinnerte sich an seinen Eintritt in die SPD. Fritz Erler war zu der Zeit überall präsent, wo wichtige Entscheidungen präsentiert oder getroffen wurden. "Man kannte ihn als einen, der da im Kommen war." Allerdings hat seine Krankheit dann aber diese aussichtsreiche Karriere frühzeitig beendet. Fritz Erler starb im Alter von 53 Jahren an Leukämie. Noch auf seinem Krankenbett hatte er den Disput in der SPD um den Beitritt zur Großen Koalition entscheidend beeinflusst. Sein "macht das" war laut Franz Müntefering ausschlaggebend für die Entscheidung.

Fritz Erler war kein bequemer Politiker - aber er war einer, der die Zeichen der Zeit erkannte und kritisch zu deuten wusste. Den Mitläufern des Nationalsozialismus, die sich um politische Führungspositionen bemühten, hielt er entgegen: "Wer mitläuft, kann nicht führen."

Und er war ein brillanter Redner. Wenn er in den großen Debatten im Bundestag sprach, haben ihm Millionen Menschen am Radio zugehört. Zu seinen Verdiensten zählt auch der Neuaufbau der Bundeswehr als Parlamentsarmee unter dem Leitbild des "Bürgers in Uniform".

Diskussionsrunde mit Gerster

In einer von Martin Gerster moderierten Diskussionsrunde stellten sich Franz Müntefering und der Juso-Kreisvorsitzende Stefan Gretzinger anschließend den Fragen aus dem Publikum. Müssten sich nicht eigentlich mehr Jugendliche aktiv an der Politik beteiligen, weil die doch ihre Zukunft wesentlich bestimmt, fragte Martin Gerster. Stefan Gretzinger antwortete, dass er in seiner Generation sehr wohl Interesse an politischen Themen feststelle. Allerdings engagieren sich junge Menschen eher für überschaubare Aktionen und finden wohl langfristige Bindungen beispielsweise an eine Partei nicht so interessant.

Im Focus standen die Themen Frieden und Sicherheit. Franz Müntefering bezeichnete den Zustand der Welt heute als "anders als damals - aber deshalb nicht unbedingt schlimmer". Es gibt viel mehr Staaten und viel mehr Menschen. Das Ende des Kalten Kriegs hat nicht die erhoffte heile Welt hervorgebracht, sondern eine Vielzahl von kleineren Spannungsfeldern. Und auch die Tendenzen in Europa bereiten Sorgen. Den demokratischen Parteien rät Müntefering, diese Entwicklungen ernst zu nehmen und nach dem Motto von Fritz Erler "mit behutsamer ordnender Hand zusammenzuführen, was aus den Fugen geraten ist". Dann ist er sich sicher, dass Europa wirtschaftlich und politisch in der Lage sei, diese Prüfungen zu überstehen.

 

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